Verfassungsvorrang vor Völkerrecht

Andreas Zumach echauffiert sich heute in der TAZ über eine Initiative der Schweizer Volkspartei (SVP) die Schweizer Verfassung mittel Volksentscheid so zu ändern, dass sie dem Völkerrecht vorgeht. Es wird mit einer Ablehnung gerechnet. Dem Autor hätte etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit rechten Initiativen gut getan. So hätte er mit Blick auf Art 59 Abs. 2 GG bzw. Art 25 GG und in einen gängigen Kommentar dazu, beispielsweise Leibholz/Rinck/Hesselberger in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 77. Lieferung 10.2018, Art. 59 GG, Rn. 106-156, insb. Rn. 121, festgestellt, dass die beabsichtigte Änderung in Deutschland bereits seit 1949 Realität ist.

Für Europarecht gilt hingegen Art 23 Abs. 1 S. 3 GG. Danach steht das Europarecht grundsätzlich auch über der Verfassung, soweit nicht der unveränderliche Kern der Verfassung betroffen ist, Art 79 Abs. 3 GG. Wenn man sich die Klimmzüge anschaut, die das Bundesverfassungsgericht in Solange I (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1974 – 2 BvL 52/71 –, BVerfGE 37, 271-305), Solange II (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 –, BVerfGE 73, 339-388) und Maastricht (BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 – 2 BvR 2134/92 –, BVerfGE 89, 155-213) hingelegt hat, sieht man auch, wie schwierig dieses Verhältnis sein kann.

Im Ergebnis aber kann der Gesetzgeber, der die Ausübung von Hoheitsbefugnissen auf die Europäische Union überträgt, Organe und Stellen der EU prinzipiell umfassend vom deutschen Grundrechtsschutz ausnehmen (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 77. Lieferung 10.2018, Art. 23 GG, Rn. 33). Dazu würde mich ja mal die Mehrheitsmeinung in Deutschland interessieren. Eine Debatte über eine so weit gehende Ermächtigung ist mir jedenfalls nicht erinnerlich. Sie wurde 1992 in das Grundgesetz eingefügt.